Nachruf auf Hans-Reiner Müller-Raemisch

27. März 1925 – 10. Dezember 2018

Wer sich mit Architektur und Städtebau der Zeit nach dem 2. Weltkrieg beschäftigen will, kommt an dem Buch von Hans-Reiner Müller-Raemisch „Leitbilder und Mythen in der Stadtplanung, 1945-1985“ (mit Textbeiträgen u.a. von Werner Durth, Hanns Adrian und Josef Lehmbrock) nicht vorbei. In ihm vereint Müller-Raemisch persönliche Erfahrung als auch die Erkenntnisse eigener wissenschaftlicher Tätigkeit als Stadtplaner und Städtebauhistoriker. Im Gegensatz zu manch anderen städtebaugeschichtlichen Texten beschreibt Müller-Raemisch nicht nur die Brüche und Sprünge in der Nachkriegsgeschichte an sich, sondern untersucht auch die konkreten Hintergründe und den gesellschaftlichen Kontext dieser Entwicklungen.

Hans-Reiner Müller-Raemisch wurde 1923 in Görlitz geboren und studierte Architektur zunächst an der TH Dresden und später an der TU-Berlin-Charlottenburg, an der er auch 1951 sein Diplom machte. Erste berufliche Station war bis 1954 die freie Mitarbeit im seinerzeit bekannten Büro für Architektur und Stadtplanung von Hans Bernhard Reichow in Hamburg. Hier war er auch eingebunden in den Entwurf der heute unter Denkmalschutz stehenden Gartenstadt Farmsen bei Hamburg und andere Maßstäbe setzende städtebauliche Projekte.

Nach dem Referendariat bei der Baubehörde in Hamburg wurde Müller-Raemisch 1958 Leiter der Hochbauabteilung im Bezirk Hamburg-Mitte.

Mit seiner neuen Position als Leiter des Hochbauamtes in Frankfurt a. M. war dann auch 1965 ein Umzug der Familie in die Stadt am Main verbunden. Nach dem Wechsel von Erhard Weiss zum Bundesbauministerium nach Bonn wurde Hans-Reiner Müller-Raemisch als sein Nachfolger 1967 Leiter des Stadtplanungsamtes und ab 1988 Leiter des Fachbereiches Gesamtplanung in Frankfurt a. M.

Gerade während seiner Zeit als Leiter des Stadtplanungsamtes in Frankfurt a. M. erlebte Müller-Raemisch wichtige Paradigmenwechsel der städtebaulichen Leitbilder, unter anderem: „Urbanität durch Dichte“, „Beteiligung der Bürger an der Stadtplanung“, „Die Verwissenschaftlichung der Stadtplanung“, „Die Postmoderne Stadt“, „Ökologische Stadtplanung“, die sich sowohl bei den Themen zur Quartiersanierung, zum Stadtumbau als auch zur Stadterweiterung und der kommunalen Gesamtentwicklung auswirkten.

Wenngleich Stadtbausoziologen am Ende der 60er Jahr dazu kritisch Positionen besetzten, blieben auch die neuen Stadtutopien und Modellprojekte der 60er und 70er im nationalen und internationalen Raum nicht ganz ohne Einfluss auf sein städtebauliches Wirken. Dabei war Hans-Reiner Müller-Raemisch selten bereit zu spontaner Euphorie oder sofortiger Ablehnung. Vor dem Hintergrund seiner langjährigen Erfahrung, auch mit kurzlebigen architektonischen und städtebaulichen Modeerscheinungen, prüfte er vielmehr vor einem abschließenden Urteil zunächst sorgfältig und abwägend. Für ihn war guter Städtebau kein Geniestreich, sondern das Ergebnis eines ausgewogenen Prozesses.

Seine freundliche Art, sein überaus ruhiges Wesen und die Fähigkeit der Kompromissfindung verschafften ihm ein hohes Maß an beruflicher Anerkennung und gaben ihm die Möglichkeit, nach seiner Pensionierung 1987 vielbeachtete Texte zu Fragen des Städtebaus zu veröffentlichen. Die Einladungen zu vielen Fachvorträgen und seine Berufung als Obmann im Ausschuss der Stadtplanungsamtsleiter des Deutschen Städtetages zeugen von seinem hohen fachlichen Renommee.

Im Zusammenhang mit der in den 60er und 70er Jahren politisch aufgeladenen öffentlichen Planungsdiskussion in Frankfurt schrieb der ehemalige Stadtbaurat von Frankfurt Prof. Hanns Adrian im Vorwort des Buches von Hans- Reiner Müller-Raemisch „Frankfurt a. M. – Stadtentwicklung und Planungsgeschichte seit 1945“: „Hans-Reiner Müller-Raemisch stand mitten drin. Leiter des Stadtplanungsamtes, damit nicht den politischen Kartellen zugehörig, ein herausragender Fachmann und unkorrumpierbar. Er versuchte einen geraden Weg zu gehen zwischen spitzen Stolpersteinen, tiefen schmutzigen Gräben und eher glitschigen als bösen Feinden … Er ist der faire Mann geblieben, der er immer war“.

Ganz in diesem Sinne war Hans-Reiner Müller-Raemisch ein echter Werkbundmann: aufrichtig, verbindlich im Umgang, aber stets der Sache eng verbunden. Ein feiner Mann mit großer persönlicher Haltung. Wer sein Buch zur Frankfurter Planungsgeschichte liest, wird neben der sachlichen Information auch stellenweise die leise Ironie nachspüren können, die auch Ausdruck seiner hohen persönlichen Integrität war.

Am 10. Dezember 2018 ist Hans-Reiner Müller-Raemisch mit 93 Jahren verstorben. Der Deutsche Werkbund Hessen verneigt sich vor dem Verstorbenen und nimmt an der Trauer über den Verlust für seine Familie, vor allem für seine beiden Töchter, aufrichtig Anteil.

Datum

10.12.2018

Verfasser

Gregor Fröhlich

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